Angebote an Aussteiger

Realitätswahrnehmung ist ein fragiles Organ von verstörender Plastizität. Es gibt Leute, die in irgendwelchen Lebenssituationen in sektiererische Zusammenhänge geraten, und dabei tiefgreifenden Wahrnehmungsverschiebungen unterliegen. Sie werden dann womöglich Dinge äußern, die für Außenstehende eine Zumutung sind: dass sie über elitäre Einsichten verfügten, Sehende unter Blinden seien, der Restgesellschaft von „Schlafschafen“ moralisch und intellektuell weit überlegen. Das ist wahrscheinlich innerhalb dieser Binnenstrukturen sehr stabilisierend, jedoch ruinös für die übrigen sozialen Beziehungen. Ich habe einmal geschätzte Freunde in solche Zusammenhänge (evangelikale Sekte) verloren, die „es erwischt hat“.

Es wird zunächst praktisch unmöglich sein, einen Verschwörungsgläubigen mit Argumenten davon zu überzeugen, dass sein Realitätskonstrukt falsch ist. Es ist aber absehbar, dass Leute, die eine solche oft apokalyptische Pseudo-Realität eine Zeitlang als sehr euphorisierend erleben, irgendwann auf dem harten Boden der Tatsachen landen. Wenn nach ein paar Monaten der Freundeskreis dezimiert, vielleicht sogar der Job weg ist, der angekündigte epische Showdown zwischen den Mächten des Lichts und denen der Finsternis ausgeblieben, die Querdenker Demos wieder auf ein mitleiderregendes und wahrscheinlich heillos zerstrittenes Häuflein eingedampft sein werden, und die Welt sich für ganz andere Dinge interessiert, dann wird so mancher vor einer schmerzlichen Lücke stehen und den gesichtswahrenden Weg zurück suchen.

Es hat sich jedoch in ähnlichen Zusammenhängen eine Kultur etabliert, die anerkennt, dass so etwas passieren kann, so wie jemandem eine psychische Störung oder eine Sucht passieren kann. Und zwar auch intelligenten, gebildeten, differenzierten, reflektierten, kultivierten, respektablen und liebenswürdigen Leuten passieren kann und passiert. Und dass von dort ein legitimer Rückweg offensteht, der unnötige Stigmatisierungen vermeidet: ein „Ausstieg“. Vielleicht könnten auch beim Querdenker Syndrom moderierte Aussteiger-Selbsthilfe Gruppen, ähnlich den anonymen Alkoholikern helfen. Nicht zuletzt deshalb, weil sie einen Ersatz für die wahrscheinlich sehr starken Gruppendynamiken innerhalb der Querdenker Community bieten könnten. Solche Gruppen könnten als Zusatznutzen sogar allgemein interessante Erkenntnisse über die Mechanismen produzieren, die Leute in Verschwörungstheorien treibt.

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