Freiburger Diskurs zu Sarah Wagenknecht

Herkunft

Der politische Stammbaum der Historikerin Wagenknecht dekliniert sich über Marx, Lenin, Stalin, Ulbricht, Honecker bis zu Putin. Die von Brandt initiierte Entspannungspolitik lehnte sie in einem Aufsatz von 1992 ab, und verteidigte hingegen die kompromisslose und in ihren Augen sehr erfolgreiche Politik der 50er und 60er Jahre von Ulbricht und Stalin – also u.A. den Bau von Mauer und Todesstreifen. Nach dem Fall dieser Mauer bezeugte Sarah Wagenknecht, dass sie „1000 mal lieber in der DDR gelebt hätte als in dem Deutschland in dem ich jetzt leben muss“. Als 2001 der Vorstand der SED Nachfolgepartei PDS sich zu einer Distanzierung von dieser Mauer durchrang,  geschah dies mit einer einzigen Gegenstimme: der von Sarah Wagenknecht, Chefin der „kommunistischen Plattform“ der Partei. Diese Äußerungen sind etliche Jahre her, und ihre heutigen Reden bieten weniger Angriffsfläche. Überzeugende Distanzierungen von ihrer politischen Vergangenheit habe ich von ihr aber nie vernommen - anders als z.B. bei einem Winfried Kretschmann, dem man zwanglos abkauft, dass er den Lebensabschnitt, wo er sich als Trotzkist begriffen hatte, hinter sich hat. Auch wenn Wagenknecht sich heute manchmal anhört wie die Sprecherin eines Verbandes mittelständischer Familienunternehmen, so kann man doch wesentliche Züge ihrer heutigen Positionen als direkte Fortschreibung lesen ihrer Affinität zur Sowjetdiktatur.

Demokratieverständnis

Das BSW ist als straff zentralistisch durchorganisierte Kaderpartei mit Machtkonzentration bei einer einzigen Person in unserer Parteienlandschaft einzigartig, und erinnert strukturell eher an die DDR oder das heutige China. Dass eine Bundesparteiführung nicht nur jeden einzelnen Mitgliedsantrag eines Landesverbandes kontrolliert, sondern sogar über den Kopf des Landesverbandes hinweg handverlesene Mitglieder einschleust, offenbar mit dem Ziel, allzu autonom agierende Landesverbände gefügig zu halten, ist nicht nur ungewöhnlich, sondern nach Einschätzung von Experten auch mit unserem Parteiengesetz nur schwer zu vereinbaren.

All dies, und die Hartnäckigkeit mit der Frau Wagenknecht heute den Potentaten Putin vor Kritik in Schutz nimmt, legen nahe, dass sie auch heute noch einem eher autoritären Gesellschaftsideal anhängt. Der freudige Überschwang mit dem Björn Höcke Wagenknecht als Fleisch vom Fleische der AfD erkennt und zur Kooperation einlädt kann vor diesem Hintergrund ebensowenig erstaunen, wie dass Frau Wagenknecht ihrerseits in den Grünen die gefährlichste Partei im Bundestag erblickt.

Anstelle von aufgeklärter Moderne vertritt sie also die nostalgische Verklärung untergegangener Autokratien. Dies verbindet sie mit Vladimir Putin, der das unblutige Ende der Sowjet-Diktatur als „die größte geopolitische Katastrophe des 20ten Jahrhunderts“ bezeichnet hat. Die Auswirkungen dieser postimperialen Phantomschmerzen muss jetzt die Ukraine erleiden. Als deren Präsident Selensky im Juni 2024 im deutschen Bundestag um Unterstützung für sein geschundenes Land warb, wurde er dort von Frau Wagenknecht und ihrem Gefolge im Schulterschluss mit der AfD boykottiert - weil Selensky „eine hochgefährliche Eskalationsspirale befördere“. Der Zynismus dieser orwellianisch-absurden Täter-Opfer Vertauschung von 2024 steht in einer Linie mit dem der Wagenknecht von 1994, die die Mauer als Maßnahme pries, „die dem lästigen Einwirken des feindlichen Nachbarn ein (längst überfälliges) Ende setzte“, und die im Mauerfall eine „Gegenrevolution“ und einen „Rückschritt“ erblickte.

Wann immer von Moskau aus Leuten in den Rücken geschossen wurde, oder sie ausgebombt werden, wie jetzt die Ukrainer, weil sie nach Westen streben, steht Wagenknecht zuverlässig auf der Seite der Täter. Der Feind steht im Westen.

Energiepolitik

Wagenknecht propagiert eine „Klima-Kehrtwende“ hin zur „Nutzung fossiler Energien“. Sie will mit der „Klimapolitik brechen, und russisches Gas importieren“, positioniert sich gegen Windenergie, leugnet die Wirksamkeit des Emissionshandels, kämpft für den Erhalt der Verbrennertechnologie und alternative Kraftstoffe und hält Wärmepumpen für „klimapolitisch völligen Nonsens“. Also ein energiepolitisch irgendwo zwischen FDP, AfD und Aiwanger angesiedeltes Potpourri aus Diesel, Gazprom und faktenresistentem Ressentiment.

Der energiepolitische Kurs des BSW hat zwei Aspekte, einen ökologischen und einen strategischen: Ökologisch vertritt Wagenknecht offen die Rekarbonisierung in allen Sektoren: bei Strom (Gas statt Wind), Mobilität (Verbrenner statt Elektromobilität) und Wärme (Gas statt Wärmepumpe). Strategisch wünscht sie sich offenbar, dass wir uns in den Schwitzkasten der energiepolitischen Erpressbarkeit durch Putin, aus dem wir uns gerade erst befreit haben, freiwillig wieder hineinbegeben.

Populismus

Aufgrund meiner Erfahrungen der letzten Jahren in der Querdenker-Szene weiß ich, dass Sarah Wagenknecht in diesen Kreisen als Ikone verehrt wird. Sie hat in ihrem Leben nie operative Verantwortung für irgendetwas getragen, sondern sich ausschließlich als Fundamentalopposition profiliert, sogar gegenüber ihrer eigenen Partei, die sie in ihrem destruktiven Furor tatsächlich zugrundegerichtet hat. Ihre politische Kunst besteht alleine darin, den Verschwörungsgeschädigten jeglicher Couleur die Hundepfeife so wohldosiert zu blasen, dass sie damit auf der einen Seite im öffentlich rechtlichen Rundfunk als noch satisfaktionsfähig und zugleich quotenträchtig kontrovers wahrgenommen wird – und auf der anderen Seite von den Bewohnern informationeller Paralleluniversen, Impf-Skeptikern, Putin-Apologeten und wütenden Antidemokraten instinktiv als Eine der Ihren begriffen wird. Sie hat die Bewirtschaftung eines euphemistisch als „Repräsentationslücke“ bezeichneten regressiven Ressentiments zur Perfektion getrieben, und zwar politisch, und zugleich als hochprofitables Business. Sie hat geschafft, woran die AfD gescheitert ist: den alten Wein der autoritären Versuchung in neue Schläuche zu gießen, welche nicht als rechtsextrem etikettiert und damit tabu sind, sondern auf eine bizarre Weise als „links“ und damit salonfähig.

Fazit

Es geht um viel. Wir drohen den Kampf gegen den Klimawandel zu verlieren. Und die liberale Demokratie als solche steht unter Druck wie noch nie, seit ich denken kann. Beides hängt zusammen, und bei beidem scheint mir Frau Wagenknecht eher Teil des Problems, als Teil der Lösung zu sein. Nachdem sie sich jetzt anschickt, nicht mehr nur Talkshows zu dominieren, sondern ein veritabler Machtfaktor zu werden, ist es vielleicht an der Zeit, eine Debatte über Sarah Wagenknecht zu führen.

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